Irgendwie gut

Eine Unterrichtsstunde vor Beobachtern durchzuführen und direkt im Abschluss über sie laut zu reflektieren, ist immer wieder besonders anspruchsvoll. Die Stunde lief … irgendwie gut oder irgendwie gar nicht gut. Aber warum?

Die Fähigkeit, kurz nach dem Ende des Unterrichts bereits systematisch, selbstkritisch und konstruktiv auf diesen zurückzublicken, ergibt sich nicht von selbst. Sie muss eingeübt werden – und kann als Königsdisziplin angesehen werden, besteht doch später im Alltag in der Schule die Herausforderung darin, auf dem kurzen Weg zurück ins Lehrerzimmer gedanklich die entscheidenden Aspekte zu fassen zu bekommen, die den gerade abgehaltenen Unterricht zum Erfolg führten oder eben auch nicht. Das Referendariat bietet immer wieder Gelegenheiten und Anlässe dazu.

Wie sollte man vorgehen, welchen Punkten sollte man besondere Beachtung schenken, wie selbstkritisch im Sinne einer „selektiven Authentizität“ sollte man sein – wann ist eine Reflexion gut? Nachfolgend ein paar Anhaltpunkte, ohne dass eine Reihenfolge impliziert wäre (oder Überschneidungsfreiheit bestünde).

Die Ausführungen zum eigenen Unterricht sollten

  • konkret,
  • strukturiert,
  • relevant,
  • prägnant,
  • ehrlich und selbstkritisch,
  • aspektreich,
  • begründet,
  • mehrperspektivisch,
  • lösungsorientiert,
  • ggf. theoriebezogen und
  • sprachlich klar

sein bzw. vorgetragen werden.

Das ist anspruchsvoll, immer wieder, aber leider nicht zu ändern – und via Übung zu schaffen. Zumal, wenn man sich regelmäßig Rückmeldungen zu den eigenen Gedanken und Schlussfolgerungen einholt, von der Mentorin, von Co-Refis, von Kollegen.

G. Wenge

Buchhinweis:

Unterrichtsbesuche, Hospitationen und Lehrproben
Ein Leitfaden für Studium, Referendariat und Lehrerpraxis
ISBN 978-3-8085-2144-1

Think/Pair/Share im wirklich wahren Leben

Noch sechs Wochen bis zur Lehrprobe. Noch liegen die Nerven nicht blank – aber halbblank dann doch schon. So langsam könnte die zündende Idee mal kommen. Was könnte man sich als Unterricht für die Lehrprobe gut vorstellen und wenn ja, warum? (Think)

Am besten mal mit der Mentorin sprechen, die zum Glück Lust auf solche Gespräche hat (Pair), Ende fünfzig, aber sowieso Jahr für Jahr zur Lieblingslehrerin gewählt, von allen. Sie sagt, die eine Klasse eigne sich – aus nachvollziehbaren, jedoch im Verborgenen liegenden Gründen – überhaupt nicht, die andere nur bedingt, eine dritte aber ganz besonders, und dann könnte es doch besonders reizvoll sein, wenn man versuchte, …

Also in die nächste Planungsschleife (Think), bis zum zweiten Gespräch (Pair) oder auch zum dritten (Pair) oder vierten (Pair), immer im Wechsel, und dann … geht es in den Unterricht und 25 Augenpaare gucken einen an (Share).

Oder man steht in der Konferenz auf und äußert die Überlegungen zum anstehenden Projekttag (Share), die zuvor zusammen mit Nicole pingpongartig entstanden sind (Think/Pair).

Ganz normales Arbeiten also (C., 11: „Normal gibt’s nicht.“), und ein ganz normales Verhalten auch im wirklich wahren Leben, in der Familie zum Beispiel: eine Idee haben (Think), diese mit Partner oder Partnerin besprechen (Pair), etwas ganz anderes dann zu zweit weiterverfolgen (Pair), schließlich die Einladungen verschicken und … zack, sitzt die ganze Verwandtschaft um den Tisch herum und redet durcheinander (Share).

Und genau das trägt auch als Unterrichtsprinzip, immer wieder, mit einer wichtigen Ergänzung: Der Lehrer oder die Lehrerin trägt die Verantwortung dafür vorzudenken, was in den einzelnen Phasen die „Zielerkenntnis“ sein kann oder soll, wohin die Reise gehen, welches Lernziel erreicht werden soll. Warum ein alleiniges initiales Nachdenken sinnvoll ist und welchen Mehrwert außer „Ja, finde ich auch“ die Pair-Phase bieten soll. Nur explizit lehrersprachlich benennen sollte man es nicht unbedingt: Die Worte „Think/Pair/Share“ könnten mehr Verwirrung stiften als die Bitte, doch zunächst einmal ganz allein für zwei, drei Minuten konzentriert darüber nachzudenken, …

Und so fort.

Literaturhinweise dazu: „erweiterte Suche“.

G. Wenge

 

„Das steht aber so im Stoffverteilungsplan“

„Ich muss ihnen doch das Fachwissen beibringen“, Tag für Tag ist das im Lehrerzimmer zu hören, „das steht aber so im Stoffverteilungsplan.“

Wer als Lehrer/in schülernahen, auf echte Erkenntnisse statt auf stumpfes Faktenwissen abzielenden Unterricht anbieten möchte, kann das Fachwissen weitgehend an Youtube oder an andere Kanäle delegieren (die von den Schülern eh genutzt werden) – und ist für seine kostbare Unterrichtszeit mit Norbert Landwehr gut beraten.

Landwehrs Leitlinien für die Planung von Unterricht eignen sich hervorragend dafür, während des Nachdenkens über anstehenden Unterricht immer wieder selbstkritisch zu fragen, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet.

Landwehrs Leitlinien:

  • Schwerpunkte setzen statt Vollständigkeit anstreben
  • Moderieren als dozieren
  • Schülerlösung vor Expertenlösung
  • Erst die Alltagstheorie, dann die wissenschaftliche Theorie
  • Erst die Umgangssprache, dann die Fachsprache
  • Faktenwissen in bedeutsame Zusammenhänge einbetten
  • Erst die Vielfalt, dann die ordnende Systematik

Referendarinnen und Referendaren ebenso wie jungen Lehrern nach dem Ende der Ausbildung fehlt oft der Mut, nach Landwehr vorzugehen. Sie sind getrieben vom übervollen Lehrplan, vom unsäglichen „Stoffverteilungsplan“ (Nomen est Omen), den es an vielen Schulen gibt, von den Lehrbüchern, von den im Intranet verfügbaren Arbeitsblättern, von den vielen Fachbegriffen, die sie so früh wie möglich in den Schülerköpfen „verankern“ wollen – doch woran?

Zunächst sollte man die Schüler, das zeigt die Forschung überdeutlich, relevante und realistische Probleme mit eigenen Ideen selbst lösen lassen, dann … siehe oben. Dann kann man sie mit den Erkenntnissen der Fachwissenschaften konfrontieren, sie abgleichen lassen, wie gut ihr Weg war im Vergleich zu dem der Experten, und die Schüler werden sehen: „Das haben wir weitestgehend selbst hingekriegt, nur in etwas anderen Worten.“

Wer es genauer wissen will und die „Checkliste“ expliziert haben möchte (was man nur empfehlen kann), möge Landwehr im Original lesen:

Landwehr, N. (2008): Neue Wege der Wissensvermittlung, ISBN 978-3794137879.

G. Wenge 

https://www.europa-lehrmittel.de/t-1/unterrichtsbesuche_hospitationen_und_lehrproben-3166/

 

Der Lehrer ist immer der Störer

So könnte man titeln, angelehnt an Reinhard Meys zeitloses Lied „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Eine gewagte These allerdings – die sich vielleicht so explizieren ließe: Wenn die Beziehung zwischen der Lehrerin und den Schülern stimmt (… und wenn der Unterrichtsgegenstand außerdem relevant ist) – dann stört niemand mehr den Unterricht.

Eine kleine Entwarnung vorneweg: Unterrichtsstörungen kommen in „Vorführstunden“ (in Hospitationsstunden) nur sehr selten vor, da die Schüler der hospitierten Lehrerin häufig durch besonderes Wohlverhalten helfen wollen; vor den Augen Fremder stört es sich schwerer.

Doch dann, im (mit falschem Fugen-s oft so benannten) „bedarfsdeckenden Unterricht“ – da wird dann auf einmal gestört, was das Zeug hält. Aus Bosheit, aus Langeweile, aus x Gründen, die oft mit dem Lehrer und seinem Unterricht gar nicht viel zu tun haben.

Doch jetzt die Frage: Würde man als Schüler bei einer Lehrerin den Unterricht stören, die man explizit mag, die sich kümmert, die auf einen eingeht und wahrnimmt, was genau los ist am jeweiligen Tag? Sehr unwahrscheinlich.

Ein guter Start für eine kleine Internetreise zur Bedeutung der Beziehungsebene könnte diese Seite sein (gibt natürlich zahllose weitere, auch wissenschaftlichere): https://unterrichtsstoerungen.com/unterrichtsstoerungen-praevention-auf-der-beziehungsebene/

Und dann: einfach mal genau drauf achten. Aber das gilt ja für alles.

G. Wenge

https://www.europa-lehrmittel.de/t-1/unterrichtsbesuche_hospitationen_und_lehrproben-3166/

 

 

Die dritte Phase

Kein Film mit Matt Damon in der Hauptrolle, sondern ein Problem im Lehrerleben, in der Lehrerbildung.

Ackerei bis spät in die Nacht, eine Hospitation nach der anderen, am Ende die Lehrproben, die Abgabe der schriftlichen Arbeit verzöget sich, weil der Drucker schlappmacht, man besteht auch die mündliche Prüfung mit „sehr gut“, trinkt noch vor dem Prüfungsraum

ein Glas Sekt, bekommt eine Stelle, freut sich ein Bein aus und … 

… steht auf einmal Tag für Tag vor der Klasse und muss ‚liefern‘, um es ausnahmsweise mal im Lindnerdeutsch zu sagen. Vier Stunden am Stück, sechs Stunden am Stück, und danach bis 15 Uhr noch Vertretungsbereitschaft. Alles, was man im Studium und Referendariat gelernt und auch für sinnvoll befunden hat, steht auf einmal wieder zur Disposition. Problemorientierung? Keine Zeit. Erkenntnisorientierung? Wenn ich mal mehr Luft habe. Projekte? Bekomme ich bei dem Stundenplan nicht hin.

Und so weiter.

Die Berufseingangsphase, die ersten zwei, drei Jahre nach Beendigung des Referendariats, sind das ungeliebte ‚Stiefkind‘ der Lehrerbildung, ‚out of scope‘. Keiner ist zuständig, es kostet Geld, die kriegen das schon irgendwie hin, wofür wurden sie denn ausgebildet. Und genau das ist oft nicht der Fall, sie kriegen es zwar hin, aber eben nur irgendwie: Sie fallen zurück in alte Routinen, ins ‚Ableisten‘ von Unterrichtsverpflichtungen, ins Durchhangeln. Und werden dann Mentorin oder Mentor.

Was tun? Welche Wege aus der Krise gibt es?

Diese Zeilen als Intro zu einer – erhofften – Diskussion über die dritte Phase. Gastblogger/innen sind herzlich willkommen! Sagt einfach kurz via Twitter Bescheid.

G. Wenge,

in der 4. Phase

Mentor sein

Mentorinnen und Mentoren werden für die Ausbildung der Referendare immer wichtiger. Der Anteil an „bedarfsdeckendem Unterricht“, den die Referendare während ihrer Ausbildung zu bewältigen haben, ist im Laufe der Jahre immer größer geworden – zu Lasten der Seminarzeiten. Dass das weder gut noch zu ändern ist, ist eine Binsenweisheit. Dass Referendare von ihren Mentoren sehr viel lernen können, auch. Doch was lässt sich umgekehrt lernen?

Niemand wird Mentorin oder Mentor aufgrund der einen Stunde Unterrichtsverpflichtung, die einem in der Regel für die Mentorenschaft gutgeschrieben wird, die man also pro Woche weniger zu unterrichten hat. Fast alle haben Lust auf Ausbildung, Lust auf Gespräche über Unterricht und Freude daran, Einfluss auf die Professionalisierung der Referendare zu nehmen. Sie reden, beraten, telefonieren, mailen, diskutieren, beobachten, reflektieren, bewerten, und alle merken irgendwann, dass auch sie selbst lernen, oft viel und nachhaltig:

  • Was hat sich bei mir über die Jahre eingeschlichen, ohne dass ich es selbst bemerkt hätte?
  • Was ist im täglichen Tun leider in Vergessenheit geraten?
  • Welche neueren didaktischen oder pädagogischen Entwicklungen habe ich verpasst?
  • Wie kann ich mit digitalen Hilfsmitteln meinen Unterricht so verbessern, dass er attraktiver, zeitgemäßer und gleichzeitig für mich selbst ressourcenschonender wird?
  • … und und und …

Mentorinnen und Mentoren beschreiben die Betreuung von Referendaren immer wieder als regelrechte Frischzellenkur, als Intensivfortbildung: „So wie du gestern in der Zwölften habe ich den Wirtschaftskreislauf noch nie unterrichtet – mache ich aber jetzt ganz sicher nächste Woche!“

Das fühlt sich gut für beide an – und wurscht ist auf einmal, ob dafür eine Stunde pro Woche gutgeschrieben wird, zwei oder keine. Soll heißen: Empört euch nicht, sondern werdet Mentor/in!

G. Wenge

PS: Mehr über alle Facetten der Mentorenschaft in Kapitel 9 des „blauen Buches“ oder im Abc der gelassenen Referendare von Bob Blume (dem man sehr gut auf Twitter folgen kann (@blume_bob).

Die … blöde Selbstreflexion

Die Hospistunde oder die Lehrprobe ist vorbei, man atmet als Refi ein, zwei Mal durch und schon heißt es: „Dann beginnen Sie doch bitte mit Ihrer Selbstreflexion!“

„Ich? Okay, also: Wie fühle ich mich jetzt …?“

Wenn man als Refi geduzt wird, macht’s das nicht einfacher – man muss etwas sagen, und zwar schnell und konzentriert, aber was? Alles? Oder nur das, was die Leute hören wollen? Und in welcher Reihenfolge, welcher Gewichtung, welcher Offenheit? Was ist mit den fünf Leitfragen, die Maria mir so empfohlen hat und die alle immer nutzen?

Das Motto sollte sein: zu Beginn des Referendariats ruhig etwas geführter, etwas stärker untergliedert (üblich und immer ähnlich sind die 5-7 Leitfragen, die von Refi zu Refi weitergegeben werden und sich sowieso natürlich googeln lassen, wie fast alles), gegen Ende hin – mit mehr „Awareness“ dafür, was für den Unterricht, was für die Schüler wirklich prägend war – gern deutlich freier, so wie man es später auch Tag für Tag auf dem Weg zurück ins Lehrerzimmer macht, wenn man „notgedrungen kurz“ überlegt, was da eigentlich eben los war, man hatte sich das doch alles so gut überlegt und dann das!

Die „Entwicklungslinien“ sollen in keiner Weise als Abarbeitungsvorschlag verstanden werden, sondern vielmehr aufzeigen, in welche Richtungen eine zunehmend professioneller werdende Reflexion gegen Ende des Referendariats gehen kann, die dann fast zwangsläufig auch die Prüfungskommission denken lässt: „Hier wird’s interessant, hier geht’s nicht nach Schema F!“

Aber macht das die Selbstreflexion schon gut? Nicht zwingend. Erwartet werden in aller Regel folgende Qualitätskriterien:

Und wie soll man jetzt mit diesen beiden Listen … üben. Wie immer. Üben, probieren, testen, reden, mit der Mentorin, mit dem Lieblings-Co-Refi, aber üben, immer wieder üben.

Dann klappt’s auch mit der Selbstreflexion.

GW

PS: In diesem Büchlein steht es alles noch viel genauer drin, aber das wisst ihr ja, und ganz sicher gibt’s das auch längst für die Hälfte bei Medimops: https://www.europa-lehrmittel.de/t-1/unterrichtsbesuche_hospitationen_und_lehrproben-3166/

Think, pair … und wieder think

Das ist ja die Krux: Selbst wenn man sich ein Buch wie dieses kauft (https://www.europa-lehrmittel.de/t-1/unterrichtsbesuche_hospitationen_und_lehrproben-3166/) und die Schritte einzeln und dezidiert durchgeht … – trotzdem kann alles gegen die Wand fahren, der Unterrichtsbesuch ein Reinfall werden, einer, in den man Stunde um Stunde und Tag um Tag investiert hat. Was also tun? Und wann und wieso?  

Das unterrichtliche Prinzip Think/Pair/Share anwenden, und zwar auf sich selbst. Hierzu ein kurzer Blick auf das eigene Referendariat, das … 2004 endete: Etwa sechs Wochen vor dem Unterrichtsbesuch begab ich mich ins Gespräch mit meiner Mentorin (die große Lust auf solche Gespräche hatte, das ist ja auch nicht selbstverständlich). Eine erste Idee entstand, und an dieser Idee hämmerte ich zu Hause auf dem Laptop herum. Ein paar Tage später mailte ich Freund und Co-Refi Alex meinen Grobentwurf, verbunden mit der Frage: „Was hältst du davon?“ Ein, zwei Tage Schweigen, dann die einsilbige Antwort: „Nichts.“
„Warum?“
„Weil’s a) brutal langweilig für die Schüler ist, b) keinerlei zu lösendes Problem zu sehen ist und c) …“
„Okay, lass‘ ma‘ treffen!“

Und so ging es hin und her: Think, Pair, Think, Pair, Think, Pair, und ein paar Wochen später Share, da saßen sie dann alle, die Co-Refis, die Seminarleitung, die Schulleitung, die Mentorin und natürlich, die sieht man als Refi nicht immer zuerst: die Schüler.

Und trotz des ganzen Gethinkes und Gepaires war die Stunde dann am Ende doch nicht so toll wie erhofft, sodass es weiterging: Think („Warum hat das und das nicht geklappt? …“), Pair („U., glaubst du, dass …“) und so fort, als revolvierender Prozess – mit dem man gar nicht früh genug anfangen kann.

G. Wenge